Lehren braucht Mut
Die Montessorischule in Kösching praktiziert seit über 16 Jahren nach dem pädagogischen Konzept Maria Montessoris
Ein typischer Schultag beginnt: Der Gong ertönt und die Mädchen und Buben der „Monte“, wie sie kurz genannt wird, sind in ihren Klassenzimmern verschwunden. Ganz still ist es nun in den Gängen der Mittelschule in Kösching (Kreis Eichstätt). An den bunten Zimmertüren hängen Namensschilder: Da gibt es die Panther-, Saturn-, Mars-, Jupiter- und Mondklasse.
An den Wänden Bildtafeln: die Zeitleiste des Lebens und der Erdenkinderbaum als Symbol für erdverbundenes, soziales Leben. Eine Fotografie zeigt Maria Montessori (18701952), die Gründerin dieser Reformpädagogik. Als Ärztin und Philosophin vertrat sie die Auffassung, dass jedes seelisch gesunde Kind in der Lage ist, sich Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen selbstständig anzueignen.
Die Montessori-Pädagogik zählt heute zu den erfolgreichsten Erziehungskonzepten und genießt großes Ansehen mit weltweit etwa 40 000 Einrichtungen. Dennoch ringt sie in Deutschland mit ihren 400 Schulen um mehr Anerkennung und Legitimität. In Bayern gibt es 80 Montessori-Schulen.
Im Klassenzimmer der Mondklasse stehen im Halbkreis Tische und Stühle. Einige Kinder sitzen dort in Bücher vertieft oder zeichnen. Regale in kindgerechter Größe sind bunt beschriftet: Deutsch, Mathe und Geometrie. Dort findet jeder Schüler zu den Lernmaterialien seinen eigenen Wissensordner. Auch ein Bereich innere Ruhe ist eingerichtet mit Klangschale und Kerzen.
Neben der Tafel ein Séparée, wo Schüler sich auf eine Projektarbeit vorbereiten. Aufgeschlagene Bücher zeigen Bilder von Sokrates, Schriftzeichen und Bekleidung im antiken Griechenland, das im Unterricht gerade im Mittelpunkt steht. Der Geräuschpegel im Klassenzimmer ist vergleichbar mit dem in einer Bibliothek.
Der typische Lehrertisch fehlt. Aus einem Kreis von Kindern löst sich Monika Franke, Pädagogin und Leiterin der Schule. Sie setzt sich etwas abseits auf einen Stuhl und notiert die Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes. Im Schnitt sind das 20 pro Klasse. Die Schüler reflektieren ihren Lernfortschritt in einem Tagebuch.
Franke, eine sportliche Mittfünfzigerin, erklärt: Jeden Morgen gehören die ersten zwei oder drei Stunden der Freiarbeit. Dies ist eine Zeit des selbstbestimmten Lernens mit Hilfe von Arbeitsmitteln. Dafür haben wir den Klassenraum entsprechend eingerichtet. Wir zeigen, welche Arbeiten sie machen können, dürfen und müssen. Wir lehren den Gebrauch der Montessori-Materialien und erklären die Regeln, die gelten, damit man zusammen arbeiten und lernen kann. Das hört sich leicht an, ist aber eine große Herausforderung. Deshalb haben wir auch zwei Pädagogen pro Klasse. 31 Lehrkräfte bilden das Kollegium.
Die zweite Kollegin, Emma (Name geändert), bereitet nun den Raum für eine physikalische Darbietung nach der Pause vor. Physik gehört in den Bereich Kosmische Erziehung, erklärt sie. Die Kosmische Erziehung umfasst auch Biologie, Geographie, Physik, Chemie und die religiöse Erziehung. Emma bringt ein Pendel, einen Federzug mit Gewicht, eine Orgelpfeife und ein kleines Wellen-Bassin. Sie absolvierte die Zusatzausbildung für die Montessori-Pädagogik. Reine Überzeugungssache, sagt sie lächelnd: Staatliche Lehrer bekommen mehr Gehalt und einen Beamtenstatus; wer sich jedoch entschließt, an einer Montessorischule ohne Notensystem zu lehren, wird nicht verbeamtet. Statt Noten gibt es hier ausführliche Beurteilungen, dabeiwerden die Kinder druck- und stressfrei miteinbezogen. Verpflichtende Hausaufgaben sind nicht Teil des Konzeptes, weil in der Schule alles reflektiert und erarbeitet wird.
Große Arbeitgeber im Einzugsgebiet Kösching haben internationale Mitarbeiter, so ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder holländischer, ungarischer und auch lateinamerikanischer Herkunft die Monte in Kösching besuchen. In der Grundschule sind es derzeit drei Buben und zwei Mädchen.
Vor der Pause tragen noch drei Schülerinnen gemeinsam ein Referat vor. Danach räumen die Kinder ihre Unterrichtsmaterialien in die Regale, stellen die Stühle wieder zurück. Im Schulgarten auf dem Bewegungspfad: ein Holzkegelspiel und ein riesiges Tic-Tac-Toe selbst gezimmert. Smartphones sind nicht verboten, scheinen aber auch nicht interessant zu sein. Man sieht kaum ein Kind damit.
Leicht hatte es die Monte-Schule seit Beginn nicht. Im Juni 2000 entschlossen sich Eltern zur Gründung des Montessori Vereins Kösching. Siewollten eine Schule im Landkreis Eichstätt ins Leben rufen. Die Initiative richtete sich gegen die Tatsache, dass im nahe gelegenen Ingolstadt Kinder aus dem Landkreis Eichstätt keine Zulassung im Schulsprengel der dortigen Montessorischule erhielten, erinnert sich die erste Schulleiterin, Ute Hesse-Hedayati. Das brachte noch mehr Zunder in die Aktion. Die engagierten Eltern kamen aus allen gesellschaftlichen Schichten sie waren irgendwie wild entschlossen.
Um als staatlich genehmigte, nicht zu verwechseln mit anerkannte, Schule existieren zu können, musste ein pädagogisches Profil her. Wir nahmen deshalb für die Grundschule das Fach Bewegung in der Natur auf und führten ab der 1. Klasse Englisch als Pflichtfach sowie Musik und Instrumentenbau ein, und damit bestanden wir vor dem Schulministerium, erinnert sich Hesse-Hedayati.
Das war im September 2002 für 21 Kinder in einer Doppelhaushälfte nahe Ingolstadt der Start. In den folgenden vier Jahren kamen vier weitere Klassen und eine Kinderkrippe hinzu. Lehrer und Kinder zogen nach Kösching um, in ein Gebäude am Stegbach. Bald kamen zu den Grundschulklassen fünf Krippengruppen und die erste Mittelschulklasse. Rund 100 Kinder zählte die Monte. Ein pädagogisches Alternativkonzept in einer Marktgemeinde mit rund 8000 Einwohnern, zwei staatlichen Grundschulen und einer Realschule.
Ein Mitglied aus dem Elternbeirat erinnert sich: Viele glaubten, dass diese Schule für lernbehinderte Kinder sei. Deshalb veranstalteten wir Informationstage. Skepsis gab es zur Genüge, ob hier die Schüler etwas lernen, wenn es keinen Frontalunterricht und keine Noten gibt. Doch die Lernerfolge der Kinder sprachen für sich, und so drängte der Trägerverein auf den Erweiterungsbau für eine Mittelschule, die 2015 bezugsfertig für weitere fünf Klassen war.
Wer sein Kind in eine Privatschule gibt, muss das monatliche Schulgeld einkalkulieren. Als staatlich genehmigte Schule in privater Trägerschaft erhalten wir pauschale Zuschüsse vom Freistaat Bayern. Ein Teil des Sachaufwandes sowie die Kosten für zusätzliches Personal tragen wir selbst. Mit dem Schulgeld sind wir im Bundesdurchschnitt vergleichbar günstig, betont Monika Franke. Wir brauchen aber von Seiten der Politik mehr Unterstützung für staatliche Zuschüsse.
Die Schülerzahl stieg zum Jahr 2018 auf 200 plus 72 Krippenkinder. Die möglichen Abschlüsse sind Quali und Mittlere Reife. Zwar gilt der amtliche Lehrplan für Grundschulen in Bayern, aber die Schüler der Monte müssen sich zur Prüfung in einer staatlichen Schule, der Mittelschule im Nachbarort Lenting, einfinden.
Obwohl, oder gerade weil wir kein Notensystem anwenden, schneiden unsere Schüler im Landkreis am besten ab, sagt Monika Franke mit einem Schmunzeln. Handwerksbetriebe ringen um Nachwuchs und schätzen unsere Absolventen, weil diese durch praktische Projektarbeiten bereits Erfahrungen in regionalen Betrieben sammelten.
Ulrich Steenberg, Pädagoge, Theologe und Theorie-Dozent der Deutschen Montessori-Vereinigung: Es wird immer wieder gefragt: Sind Montessori-Schüler überhaupt geeignet für die heutige globalisierte Leistungsgesellschaft? Da können wir uns entspannt zurücklehnen, denn Gespräche mit Headhuntern oder Ausbildungsleitern waren aufschlussreich: Die wollen jemanden, der Probleme erkennt, daraus Ziele formuliert, anschließend Strategien entwickelt und ein Konzept hat,wie er diese in die Realität umsetzen kann, möglichst noch mit anderen im Team. Montessori-Schüler studieren und arbeiten erfolgreich in allen Studien- und Berufsfeldern.
Quelle: Donaukurier, 27.06.2109