Diplom Journalistin (FjS), Publikationen Musik & Texte

Kindheit aus dem Smartphone – eine Verinselung

Ich stelle die frische Quiche auf den kleinen Bistro-Tisch ab. Seitdem ich in Rente bin, backe ich für das kleine Straßencafé in meinem Haus. Heute ist Freitag, da öffnen sie erst um zwölf. Die Schlossuhr zeigt zehn vor. Also setze ich mich in die warme Herbstsonne. Goldener Blätterregen verzaubert den Stadtplatz.

Ein kleines Mädchen, vielleicht erst zwei, trippelt zielgerichtet Richtung Hüpfmatte – vermutlich ist ihr das „Hüpfrefugium“ bereits bekannt. Von der Mutter noch keine Spur. Wie klug sie doch ist: hebt die Eingrenzungskette hoch und schlüpft hindurch. Auf der Stirn ein verklebtes Löckchen, Schnuller im Mund, graues Kleidchen, helle Strümpfe und winzige Schühchen. Jetzt krabbelt sie auf die die Hüpfmatte und wippt. Als ob es ihr jetzt erst auffiele, dass sie alleine ist, ruft sie: „Mama?“. Und da kommt diese auch schon – noch vertieft ins Smartphone. Sie stellt den Kinderwagen ab, das Handy bleibt in der Hand und jetzt vor ihrem Gesicht: „Super! Hüpf noch mal“, animiert sie die Kleine.

Die Mutter steht am Rande der Hüpfmatte – ganz die Regisseurin, während der kleine Star gefällig hüpft und hopst und in die Linse lächelt. Aufnahmen aus allen Perspektiven. Aus der Hocke eine „Frontale“ – „ja, sehr gut, nochmal!“, feuert die Mutter das Mädchen an.

Plötzliche Drehbuchänderung: die Hauptakteurin möchte jetzt endlich mit der Regisseurin hopsen – negativ: der Film muss schließlich noch hochgeladen werden. Enttäuscht krabbelt die Kleine aus dem Graben, gesellt sich zur kauernden Mutter und legt ihr liebevoll das Ärmchen um die Schulter. Beide gucken auf das Display und staunen über das Werk, in welchem nur eine Akteurin ohne ihre „Gage“ hopst.

Das Kind gibt dem Erwachsenem mit seiner Liebe ein unendliches Kapital, das im gemeinsamen analogen Erleben gut angelegt sein könnte. Wenn es jedoch ständig mit dem Handy oder Fernseher konkurrieren muss, empfängt es widersprüchliche Botschaften. Einmal ist zwar die Mutter bzw. der Elternteil körperlich da, aber seelisch nicht präsent. Das verwirrt Kinder und sie werden unsicher.

Ergebnisse aus dem Experiment „Still Face“ (bewegungsloses Gesicht) des Entwicklungspsychologen Edward Tronick, University of Massachusetts, USA, bezeugen schmerzliche Erkenntnisse der Bindungsstörungen.

Ich liefere meine Quiche im kleinen Café ab – die Szene bleibt mir den ganzen Tag im Kopf. Erinnerungen an die Spielerlebnisse mit meiner Tochter steigen als Bilder im Herzen auf – wir waren ein kicherndes, phantasievolles und tolles Team – wir guckten uns gerne ganz lange in die Augen, so lange, bis der andere endlich blinzelte. Und das alles ohne Smartphone.

von Susanne Ehrnthaler