Diplom Journalistin (FjS), Publikationen Musik & Texte

Arbeitstage in freier Natur

Christine Schopf ist mit Leib und Seele Rangerin. Foto: Ehrnthaler

Christine Schopf ist mit Leib und Seele Rangerin. Foto: Ehrnthaler

Christine Schopf ist Rangerin im Nationalpark Bayerischer Wald. Wir haben die Mittlerin zwischen Naturwildnis und interessierter Zivilisation besucht und einen Tag begleitet. Ein Arbeitsplatz so vielfältig wie die Flora und Fauna selbst.

Schon wieder „Heißzeit“. Flirrende Hitze liegt über Niederbayern. Am Himmel kreist ein Schwarzstorch. Lässt sich von der Thermik weit tragen. Aus seiner Perspektive schmiegt sich der Nationalpark Bayerischer Wald wie ein riesiges grünes Lebewesen an den Sumava Nationalpark auf der tschechischen Seite. 26 Ranger arbeiten hier. Eine davon ist Christine Schopf, als Angestellte im Öffentlichen Dienst eingestuft. Die Nationalparkverwaltung ist eine Sonderbehörde des Bayerischen Umweltministeriums.

Am Nationalparkzentrum Lusen rollen schon früh die Touristenbusse vor. Über eine Million Besucher werden jährlich gezählt. Die Wegweiser führen hier zum Baumwipfelpfad, zum Tier-, Pflanzen- und Gesteinsfreigelände.

Zwischen den bunt zusammengewürfelten Menschentrauben bewegt sich auch Christine Schopf. Ihr Kurzhaarschnitt, grau meliert, verleiht der mittelgroßen Frau ein jugendliches Erscheinungsbild, unterstrichen durch die sportliche Leichtigkeit in der Bewegung. Auffällig ist der erhobene Kopf und der wache, prüfende Blick, mit dem die Rangerin dieMenschen und ihre Umgebung wahrnimmt. Sie trägt Dienstkleidung, einen Rucksack und einen Wanderstab aus Haselnussholz mit schwarzen Troddeln und einem langen Nagel am Stabende. Auf dem linken Ärmel des khakifarbenen Hemdes befindet sich das Nationalparkwappen: Fichte, Fichte, Buche.

Da ist sie also, die Rangerin – jüngst ausgezeichnet zu ihrem 25-jährigen Dienstjubiläum. Die Frau ist aus einem besonderen Holz geschnitzt. Im Einzugsgebiet des Nationalparks aufgewachsen, tummelte sie sich in ihrer Jugend auf Wiesen, an Bachläufen und im Wald mit den anderen Kindern: „Meine Mutter besorgte sich sogar eine Trillerpfeife. Das Heimrufen hätten wir sonst nicht gehört“, erinnert sie sich. „Es war einfach eine schöne Kindheit. Die Großmutter bewirtschaftete einen Nebenerwerbshof, da hieß es auchmit anpacken.“ Als Christine vier Jahre altwar, feierte ganz nah der Nationalpark Bayerischer Wald seine Eröffnung.

Ihre Naturverbundenheit setzte sich fort bei der Jugendarbeit imBund Naturschutz. Sie machte mit bei Moor-Renaturierung, Müll- und Artenschutzaktionen. Besonders gerne erinnert sie sich an die Vogelstimmenwanderungen, die von Mitarbeitern des Nationalparks Bayerischer Wald durchgeführt werden. Als die Entscheidung für einen Beruf anstand, entschied sie sich für die Ausbildung zur Schreinerin.

„Ich merkte bald, dass die Tätigkeit mir körperlich dauerhaft viel abforderte“, erinnert sich Schopf. „Ich bewarb mich dann im Nationalpark um eine Stelle und hätte tatsächlich als erste Frau dort bei den Rangern – damals hießen sie noch Nationalparkwacht – anfangen können.“ Aber das Schicksal wollte es, dass die damals Zwanzigjährige ihren ersten Sohn zur Welt brachte, zwei Jahre später den zweiten. Also war sie zunächst ganz für ihre Familie da war.

Dann, am 2. Mai 1994, wurde ihr Traum wahr: Christine Schopf erhielt ihren Arbeitsvertrag, zunächst für eine Teilzeitstelle. Außerdem ist sie seit Anfangan im Berufsverband Naturwacht e. V. dabei. Sie sagt: „Selbst, wenn ich Lotto spielen würde und eine Million gewänne, würde ich hier weiterhin arbeiten!“

Die Rangerin arbeitet vier Tage pro Woche – nach Dienstplan. Heute betritt sie ihr Büro im Nationalparkzentrum Lusen, checkt erstmal ihre E-Mails. Dann Lagebesprechung mit den Kollegen und dem Leiter der Nationalpark wacht. Es gibt eine Dienstplanänderung: Ranger werden in nächster Zeit im Bereich Finsterau zur Sicherung des Verkehrs an Wanderwegen und Straßen benötigt. Grund hierfür sind Baumfällarbeiten zur Bekämpfung des Borkenkäfers im Randbereich zu den angrenzenden Privatwäldern.

Nach der Besprechung füllt Christine Schopf ihren Rucksack mit Wasserflasche, Prospekten, Karten zur Datenerfassung, Fernglas, Anschauungsmaterial, Verbandszeug und Pflaster, auch eine Papiermülltüte geht mit. Alle Ranger sind als Ersthelfer ausgebildet und erhalten regelmäßig Nachschulungen. Sie legen täglich zwischen zehn und zwanzig Kilometer – je nach Einsatzgebiet im Nationalpark – zurück. Bei eisiger Kälte, im Regen und bei größter Hitze, wie heute. Es geht bergauf Richtung Wolfsgehege. An einer Baumpilz- Erklärungstafel stehen Kinder und bestaunen den Zunderschwamm. Für Christine Schopf ist das eine willkommene Gelegenheit, das mitgebrachte Anschauungsmaterial, nämlich eine Kopfbedeckung, wie sie in vergangenen Jahrhunderten (und heute noch in Rumänien) hergestellt wurde, zuzeigen. Aus einer Schicht dieses Baumpilzes, weich wie Wildleder und zugleich wasserdicht, ist eine Kappe geformt und genäht. Wann denn heute die Wolfsfütterung sei, wollen die Kinder wissen. Da zückt die Rangerin ihr Handy und fragt Michael, den Tierpfleger, nach der ungefähren Zeit. Schopf geht weiter. Noch vor der Wolfskanzel im Halbdunkel der Sträucher: Luchse, groß wie Schäferhunde.

Unter den Besuchern sind immer auch Menschen, die aus einer besonderen Lebenssituation heraus die Stille und die Nähe zu dieser Wildnis suchen. So ergeben sich die unterschiedlichsten Kommunikationssphären. Christine Schopf erinnert sich: „Eines Abends, es dämmerte, da begegnete ich einer Dame mit Hund, die war noch unterwegs hinauf zum Lusen, einer der drei Berge im Nationalpark. Es stellte sich heraus, dass die promovierte Geologin die Wirkung der Gesteine Granit (Lusen) und Gneis (Rachel) untersucht hatte … So erfuhr ich, dass Granit eine Beruhigung auf die menschliche Natur ausstrahlt und Gneis eine Aufbruchsenergie bereithält.“

Gerade in den Frühjahrs- und Herbstmonaten ermitteln Ranger naturkundliche Daten. Es werden Bruthöhlen, Aufkommen von Zugvögeln sowie Wildtierbewegungen gezählt. Davon profitieren die Nationalparkverwaltung, aber auch Forschungsprojekte. Im Rahmen dieser sind hin und wieder Wissenschaftler aus der ganzen Welt vor Ort. Außer Daten sammelt ein Ranger auch das auf, was die Natur allein außer Stande ist zu produzieren: den Müll. Dafür ist der Nagel am Wanderstab gerade recht: Ein Piks und ab mit dem Unrat in die Papiertüte aus dem Rucksack. Ein Nationalpark hat weder Abfalleimer, Achterbahn noch Streichelzoo … „Wir Ranger erhalten Schulungen“, sagt Schopf. „Dazu gehörte auch ein Konfliktbewältigungsseminar, als in den 90er-Jahren die Emotionen wegen des Borkenkäfers hochkochten“, erinnert sich die 53-Jährige und lacht. „Wenn ich angeblafft werde, reagiere ich sehr ruhig. Schon bald stellt sich heraus, dass sich eine Lösung gemeinsam finden lässt.“

Entwurzelte Bäume und geheimnisvolles Totholz gehören zum Nationalpark dazu. „Manchmal packt mich tiefe Sorge wegen des Klimawandels, den wir hier auch schon spüren. In Mitleidenschaft gezogen ist auch die hier vorkommende flachwurzelnde Baumart Fichte. Aber unsere Philosophie heißt, Natur Natur sein lassen‘“, erklärt Christine Schopf. „Wenn ich an einem umgestürzten Baumriesen vorbeikomme, dessen gewaltiger Wurzelteller aus dem Erdreich mich überragt, vergleiche ich dieses Bild mit dem Leben: Manchmal steht alles Kopf. Aber es ist eben ein steter Wandel. Und wenn ich entdecke, dass in der Wurzelhöhle der Auerhahn brütet, neue Blühformen und Pilze erwachsen, dann hat sich die Natur wieder selbst organisiert – so wie das Leben. Das Wichtigste ist die Weitergabe von Bildung für nachhaltige Entwicklung und tiefes Verstehen. Und ebenso dafür arbeite ich hier.“

Am Ende auch dieses Arbeitstages steht noch der Bericht über das heute Erlebte und Beobachtete an. Dann geht es erstmal nach Hause in ihre gemütliche Wohnung, Schuhe aus, Füße hoch. Treffen mit Freunden im Biergarten oder einfach nur Lesen.

Quelle: Donaukurier, 26.08.2019

von Susanne Ehrnthaler